Donnerstag, 26. Juli 2007

Ti amo...

Der Sommerkurs ist zu Ende. War noch mal eine weiter geile Erfahrung, die ich hier oben machen durfte. Zuerst war ich allerdings mächtig traurig, als alle mit denen ich das Erlebnis Svalbard geteilt hab nach hause geflogen sind…aber dann musste ich auch wieder grinsen, da ich ja geblieben bin, mein Märchen noch nicht zu Ende ist und der Traum in Kapp Linné weiter ging! Nicht ohne Stolz kann ich abschließend vermelden, dass ich 50 %iger Bestandteil einer zwei Mann starken Bohrmannschaft war, die das zweittiefste Bohrloch in einem rock glacier (zu Deutsch: Blockgletscher) in Spitzbergen ever gebohrt haben!!!!



Doch zurück in Longyearbyen vergingen die letzten Tage fast wie im Flug wenn ich schlafe. Irgendwie ist aus meinem geplanten Packen vor Kapp Linné ja nix geworden, jetzt musste also mein ganzes Zimmer geleert werden und ich durfte nur 20 kg mitnehmen – Mission Impossible…auch nachdem zwei fette Kartons gefüllt waren, kam mir mein Zimmer immer noch relativ eingerichtet vor. Einen Tag und 1100 NOK später sind aus dem häuslichen Durcheinander mit gewissser Ordnung, das sechs Monate mein Heim war, steril saubere 10 m² geworden. Verdammisch im Januar sah mein Zimmer noch so hässlich und unbewohnt aus…
Jetzt ist das passiert, wovor ich die ganze Zeit ein wenig Angst hatte und ich es immer wieder und vor allen Dingen weiter vor mir her geschoben habe: Ich musste Spitzbergen verlassen! Ich habe diese große kleine Insel in einem halben Jahr dermaßen zum knuddeln gewonnen… Trotzdem denke ich, dass es richtig ist (leider schon war) jetzt adieu zu sagen, denn Mann soll immer gehen, wenn es am schönsten ist. So viele Erfahrungen und Erlebnisse werden für immer in meinem Herzen sein, wo immer es auch gerade schlägt. Ich werde wiederkommen und das ist nicht eine dieser Floskeln, die man zum Abschied noch so gerne anhängt. Ich muss sagen, dass ich mich hier oben pudelwohl gefühlt habe, auch wenn mir klar ist, dass ich hier nicht leben könnte. Mein himmlisch hässliches Bettzeug mit Sonnenuntergängen und Palmen am Strand wartet in einer unscheinbaren grauen Sporttasche auf dem Speicher von Brakke 13 auf mich. Es ist nur ein Abschied auf Zeit…Es ist immer schwer, das Gefühl des Abschieds zu beschreiben – als ich in den Bus stieg um von einem (neu gewonnenen kleinen) zuhause in mein andres zu kommen, war es irgendein Cocktail aus totaler Leere und ganz vielen Sachen, die ich mit dem verbinde, was ich gerade verlasse; auf jeden Fall war es Trauer. Selten habe ich mich so mies gefühlt…nicht nur dem armen Italiener gegenüber, der jetzt nach so vielen gemeinsamen Monaten noch eine ganze Woche alleine seine Pasta kochen muss. Das ist auch eine der tausend Sache, die ich auf jeden Fall in guter Erinnerung behalten werde: Wenn du jemandem erzählst, dass du quasi sein halbes Jahr lang jeden Tag Nudeln gegessen hast, werden dir meist nur ein paar bemitleidende Augen entgegen gucken (vielleicht bekommste von Verwandten noch 5 Euro für was „Anständiges zu Essen“…) – aber hier ist der Unterschied, der auch mir wenn ich noch so viele Male in Italien war, nicht bewusst war: Italiener kochen keine Nudeln – sie zelebrieren sie! Und jedes Mal, wenn die fertig abgegossenen Nudeln wieder im Topf landen und formvollendet mit Olivenöl beträufelt werden, strahlt dir das Gesicht eines Künstlers entgegen, der sein Werk vollendet hat. Allein diese Erfahrung, wäre die Reise wert gewesen!
Was habe ich noch gelernt? Natürlich habe ich, da ich ja „primär“ zum studieren nach Spitzbergen bin, auch ne Menge über Geologie gelernt; wobei ‚Menge’ als Begriff bei weitem nicht ausreicht. Ich habe einen ganz neuen Einblick erhalten, in das, was ich - um ehrlich zu sein - in Mainz oft als ziemlich aussichtslos und sinnfrei betrachtete…so zu sagen habe ich meinen Horizont erweitert (sagt das nicht der Vater zu seinem kleinen Sohn in ‚Ritter aus Leidenschaft’, als er ihn auf das Floß schickt?!). Also ganz im Erst, ich denke schon, dass ich jetzt mehr Plan vom Business (eigentlich will ich ja nur bus schreiben, aber dann versteht keinen was ich sagen will…) habe. Man kann meinen Fortschritt in Wissen und auch in Zielsetzung fürs Leben durchaus und ohne mit der Wimper zu zucken mit der Industriellen Revolution oder dem Wirtschaftwunder in Deutschland gleichsetzten. Klingt krass, war es aber auch. Was hab ich in sechs Monaten quasi Nordpol noch gelernt?
-25° müssen nicht immer kalt sein, +5° können aber scheiße kalt sein; einmal erfroren, frieren Zehen schneller (haben sie also ein Gedächtnis? Sind unsere oft mit Käse gleichgesetzten 10 Freunde also intelligente Lebewesen?); ob es draußen dunkel oder hell ist, kommt nicht auf die Uhrzeit, sonder auf die Jahreszeit an; ein Tag kann länger als 24 Stunden sein, eine Nacht ebenso, daher hört der Tag nicht mit der Nacht auf und diese nicht mit dem Tag – meistens jedenfalls…; in ein 10 m² Zimmer passt sau viel Zeug; sobald mehr Leute als die Person, die für Ordnung sorgt in dem Zimmer für länger als eine Stunde sind, gibt es grandioses Chaos (dieser Zustand kann bei einer Gesamtpersonenanzahl von drei – besonders wenn sie alle aus der gleichen Familie stammen – innerhalb von Minuten erreicht werden); wenn draußen ein Baby schreit, ist es meistens kein Ausgesetztes, sondern ein arktischer Fuchs; Möwen im Flug zu fotografieren ist eine verdammt frustrierende Angelegenheit; Norweger können kein gutes Bier brauen; wenn auf dem Wasser Eisberge schwimmen, kann man darauf schließen, dass das Wasser recht kühl ist; mehr Wellen machen mehr seekrank; je weiter du den Berg hoch läufst, desto weiter kannst du ihn auch wieder runterfahren; egal wie viel Uhr es ist, wenn es irgend möglich ist, gehste Ski fahren; es gibt keine Eisbären auf Spitzbergen! Alle die das Gegenteil behaupten, sind von den Tourismusbüros bestochen worden und die ominösen Fotos sind in unterirdischen Geheimlabors, die von Spitsbergen Travel gesponsert werden, entstanden…Eins möchte ich euch allen noch ans Herz legen: Wenn es draußen sehr kalt ist und ihr einen warmen Tee mitnehmen wollt – freut euch nicht zu früh! Zuerst versuchte ich es mit diesen Thermobeuteln für Siggflaschen mit der Erkennnis, dass der Tee zwar warm bleibt, aber die Gummidichtung bei ungefähr -10°C zufrieren kann… Ähnliches passierte mit den Mundstücken von Camelback-Trinkblasen. Trotz Neopren-Schlauch um den eigentlichen Trinkschlauch herum, kann das deppe Mundstück zufrieren, wenn nur ein Tropfen hängen bleibt. Und wenn das Mundstück nicht vereist, dann friert wenigstens der Reißverschluss des Neoprenschlauches zu, was einem dann auch nicht weiter hilft…einmal zugefroren kann man sie mit Atemluft zwar wieder auftauen, aber sobald man 5 Minuten nicht trinkt und den Reißverschluss nicht wieder bewegt, ist das Ding wieder zu – ein Teufelskreis also…Am mit Abstand frustrierendsten war allerdings die Erkenntnis, dass auch Thermoskannen zufrieren können. Nimmt man schon mal son schweres Gerät mit auf den Berg, freut man sich ja auch richtig auf den waren Tee. Zuerst versuchst du mit Handschuhen den Verschluss zum Drehen zu überreden, sollte das trotz aller Anstrengung nicht klappt, zieht man schon mal in Anbetracht des wärmenden Tees die Handschuhe aus. Doch auch mit Innenhandschuhen macht der Deckel keine Anstalten sich zu drehen – egal in welche Richtung. Mittlerweile sind die Finger auch schon so taub, dass man eigentlich weiß „man sollte die Handschuhe wieder anziehen“ und der warme Tee ist immer noch sicher geschützt vor der Kälte in seiner Thermosflasche. Einmal glaubte Marco meinen Thermoskannenverschluss-aufdreh-Fähigkeiten nicht so ganz mit dem Ergebnis, dass wir nach seinen gescheiterten Versuchen mit und ohne Handschuhen mit vier halb erfrorene Hände an einer vollen Thermosflasche mit warmen Tee drehten, zogen und drückten…es nützte nix! Also Kinder gebt fein Acht, wenn ihr sicher sein wollt überhaupt was zu trinken zu haben, immer mehr als eine Thermosflasche, Siggflasche oder Camelbag mitnehmen. Lustig aber wahr: Meine kleine 0,5 Liter stille Wasser Flasche, die ich mir schon auf dem Hinflug in Oslo gekauft habe, ist nie zugefroren. Allerdings war da der Tee auch nie lange warm…
Was will ich euch noch ans Herz legen? Aurora Borealis - Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als Nordlichter! Es fehlen einem schlicht die Worte, dieses Naturspektakel angemessen zu beschreiben.
Was werde ich vermissen? Sehr viel – keine Frage! Die Leute natürlich, denn meistens verbindet man ja eine Erfahrung an einem bestimmten Ort mit bestimmten Leuten. Hier kommt noch hinzu, dass die meisten ja schon irgendwie dieselben Interessen haben, sonst wären sie wohl an den falschen Ort geflogen. Vergleichen kann man es vielleicht am ehesten mit einer großen Konzertreise von Querflötenspielern und Querflötenspielerinnen, da haben auch offensichtlich alle dasselbe Interesse (zusätzlich zu dem vom Querflötenspieler an der Querflötenspielerin…). Was werde ich noch vermissen? Ich denke es sind vielmehr die kleinen Dinge, die man im Alltag zuhause schnell vergisst und oder gar nicht erst hat. Da ist zum Beispiel das Checken vom Wetter bevor ich raus gehe – und mit einer Regenjacke oder gar einem Schirm ist es da nicht getan gewesen. Oder aber das taube Gefühl in den Fingern, wenn man noch schnell ein Foto am Gipfel machen wollte…die Finger keineswegs mehr das machen, was sie sollen, nicht mehr die Fingertaschen im Handschuh treffen, und ganz besonders den stechenden Schmerz, bei dem einem der Atem fast stockt, wenn die Dinger wieder nach einer kleinen Ewigkeit zu sich kommen. Neben der Tatsache quasi jeden Tag draußen zu sein, fehlt mir jetzt schon die kleine Skitour am Nachmittag. Einfach Lawinenbeeper umschnallen, noch was Warmes zu trinken eingepackt, den allzeit bereiten Rucksack mit Schaufel, Sonde und Extraklamotten geschultert, Waffe hat der Johannes, die Skier vor der Haustür angeschnallt und dann den Puls von 0 auf 100 in 180° (Zitat Maris W.) hochschnellen lassen. Ja, das vermisse ich…

So liebes Tagebuch – das war mein Spitzbergen-Abenteuer. Das Abenteuer ist vorerst (!) zu Ende, doch die Erinnerungen werden bleiben. Schließen will ich nicht ohne meiner Besten Mama die ich je hatte, meinem Papa und nicht zuletzt dem Desterderz zu danken, weil sie mir geholfen haben und es ermöglicht haben, dass ich meinen Traum leben konnte und weiterhin kann.

Nimm nie die 2 wenn du die 3 bekommen kannst. Just go for it!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hey Stephan,

Ein sehr cooler Bericht den ich, wann immer es ging, gerne verfolgt habe. Hoffe man sieht sich bald mal wieder.

Gruß
Jan.