Mittwoch, 9. Juni 2010

3. Halbzeit


Der Tag hat eigentlich schon irgendwie anders angefangen: Entspannt hatte ich mir um 9h den Wecker gestellt. Bin auch artig aufgestanden, Vorhang und Fenster auf. Doch plötzlich finde ich mich in meine Bettdecke zusammengerollt wieder – 11h! Auch nachdem ich mein Handy nochmal zweifelnd angeschaut hab, ändert sich an der Zeit nix mehr… na ja machen wir also das Beste aus dem angefangenen Tag. Der Vormittag vergeht wie im Flug. Herausragend ist das Mittagsessen: Mettbrötchen, oder man im Osten sagt ‚Hackepeter’! Auch wenn’s aus der Packung kam – das erste Mett nach einem halben Jahr ist und bleibt ´n Krachah! Schön mit dick Butter, gemahlenem Pfeffer und reichlich frischer Zwiebeln – ja da freut sich der Mundpeter den ganzen Tag noch!


Reichlich unspektakulär vergeht der Tag irgendwie zwischen Kaffee und Powerpoint. Gegen neun geh ich mit Gjermund zur Abwechslung mal wieder ne kleine Runde an der Pressspan-Platte Tischtennis spielen. Zwei Sätze gewinn ich souverän, dann wollen wir wieder zurück. Draußen vor der Tür fährt recht rasant ein dicker Jeep vom Sysselmannen vor und der Mann guckt uns ein wenig komisch uns an, ruft irgendwas. Als er aussteigt hat er schon eine Pistole in die Hand – der erste Schuss fällt augenblicklich - wir drehen uns um - am andren Ende des Hauses steht ein fetter Eisbär, keine 50 m vor uns! Was geht denn hier ab??!! Sofort sind wie wieder im Haus und rennen den langen Gang entlang – verdammisch, wo ist denn das nächste Fenster. Im hintersten Raum finden wir dann doch fix ein kleines, der Bär hat ein wenig abgedreht und trottet nicht weit hinter der Barakke. Hammer, ein richtiger Bär, so nah! Als der Bär sich weiter trollt, renn ich zurück in meine Barakke um die Kamera zu holen, hoch in den zweiten Stock. Nicht wirklich gestresst aber doch irgendwie irritiert latscht Meister Petz Richtung Longyearbreen, erklettert den Schutthaufen vor der Moräne und stolziert oben nochmal fast grazil entlang, dass sich sicher auch Bruce Darnell seine Freunde daran gehabt hätte!



Im ganzen Moränenchaos verlieren wir den Bär aus den Augen. Kurz darauf kommt schon ein kleiner Helikopter, der dem weißen Riesen ein bisschen Beine machen soll und so wird er den Gletscher zurück gescheucht. Mal sehen was aus ihm wird. Langsam erscheinen mir die 3 Jahre des Wartens doch gar nicht mehr so schlimm…



Samstag, 5. Juni 2010

Der Jubel des Titan und das Date von Carrie Bradshaw

Hamburg 2001: Es läuft die 95. Spielminute Bayern gehen den HSV. Sergej Barbarez hat soeben Bayern von Wolke Sieben geköpft, Oliver Kahn wird zum Titan und schreit alle Mitspieler wieder nach vorne – „Weiter, immer weiter!“ Schalke feiert vier Minuten die Deutsche Meisterschaft, bis Bayern einen indirekten Freistoß zugesprochen bekommt wegen Rückpass. Kahn will selber schießen, Effenberg legt auf Anderson auf, der Rest ist Geschichte und Schalke wird plötzlich lediglich‚Meister der Herzen’. Nachdem Oli Kahn eine gefühlte 3. Halbzeit mit der Eckfahne ausgiebig gefeiert hat, stemmt er die Salatschüssel mit seinem legendären Spruch ‚Da ist das Ding’ in die Höhe. Bayern tanzt – Schalke weint.

Longyearbyen 2010: Nach einer weitern Frühjahrssaison ohne Bär, hab ich mich meinem Schicksal quasi ergeben. Drei Halbjahre ohne Bär haben fast alle verbliebenen Hoffnungen mit dem Meereis dahin schmelzen lassen. So nah und doch so fern bin ich etliche Male gewesen: Leute hatten am Vortag Bären gesehen, ich fand frische Spuren, die Sensation schien oft greifbar, doch es sollte halt nie sein. Normalerweise heißt es ja ‚Wer suchet, der findet’, aber wie so oft im Leben findet man etwas gerade dann, wenn man nicht (mehr) danach sucht:

Peep Peep – mein Uralthandy vibriert. “Vogel, wie viel würdest du geben um einen Bär zu sehen?” Mein Herz – ja was macht es eigentlich – bleibt stehen oder schlägt es plötzlich ganz aufgeregt, egal normal ist nichts mehr. „Alles!“ - „Beeil dich, ein Bär hockt hinter UNIS aufm Fjordeis!“ Auf dem Flur treffe ich schon den nächsten Angerufenen, ich denk nur an das ‚Beeil dich’, ein Taxi muss her, und zwar ganz schnell, selbst für den Kaffee ist jetzt keine Zeit mehr. In Wendkreis von Nybyen finden sich noch mehr Studenten ein, nach einer Ewigkeit kommt das Taxi endlich in Sicht – kann der sich denn nicht beeilen?! Da schau ich mir anderthalb Jahre die Augen ausm Kopf, fahr mehr als 2000kh auf der Hvite Laila durch die Gegend, hab sogar in der Ferne mal eine kleine Hütte mit Schornstein übermütig als Bär gesehen und jetzt kurz vorm Ziel sitz ich hibbelig wie Carrie Bradshaw in einem Taxi auf dem Weg zu einem Date, auf das ich Ewigkeiten gewartet habe, von dem ich geträumt habe und an welches ich nicht mehr wirklich glauben konnte. Ich fliege in den dritten Stock, dort stehen schon sicher 30 Studenten um ein riesiges Fernglas – Mr. Big ist also noch da! Ein bisschen kann oder muss ich lächeln, gleich ist es soweit, mein Herz hat sich auf aufgeregtes Springen geeinigt. ‚Kann ich mal BITTE durch, danke.’ Alle Leute drumherum lachen, freuen sich und feiern sich selbst. Ich bin an der Reihe – DA IST DAS DING! Geil, pures Glück durchströmt meine Adern – dort ist ER, mein Mr. Big, ich bin Carrie Bradshaw (was?)…


Wenige Wochen bevor ich Spitzbergen wieder verlassen werde doch noch Glück zu haben freut mich unbeschreiblich. Wieviele bumms Touristen sehen bei ihrem Standart drei Tage Spitzbergen-Urlaub einen Bär? Aber irgendwie hatte ich echt die Seuche am Fuß oder was auch immer es war, dass ich mich so geschickt um all die Bären drumherum gemogelt hab. Vielleicht kann ich ja auch die ganze Misere wirklich dem Dödel anlasten, der nur aus Angst um mein Leben inständig betete, ich möge erst gar keinen Bären zu Gesicht bekommen. Hab ich mich bei all meinen Wegen zwischen den Bären diesmal vertan, oder hatte letztendlich der liebe Gott doch Einsehen, wie dem auch sei - so wars genau richtig. Jetzt kann ich eigentlich beruhigt nach Hause gehen, in Würde altern und irgendwann, wenn die Leute Strandurlaub in der Arktis machen, meinen Enkeln stolz erzählen, dass der Opa – als es noch Schnee gab – einmal dieses weiße Tier sehen durfte, dass sie König der Arktis nannten - oder eben Mr. Big!

Am Ende gibt es nur Gewinner, alle tanzen, niemand weint. Wir sind alle Meister, nicht nur im Herzen. Wenn es nun doch noch einen Titel zu vergeben gäbe, dann ginge der ohne Frage an Max, weil er ganz einfach zur richtigen Zeit die richtige Nummer gewählt hat – Danke!