Montag, 6. Juli 2009

Livin' la vida loca

Liebes Tagebuch,

Entschuldige, dass ich mich so lange nicht um dich gekümmert habe. Mittlerweile ist der Juli auch in Spitzbergen angekommen und einiges ist in der Zwischenzeit passiert. Auch wenn das in der Heimat bei gefühlten 30°C sich niemand vorstellen kann – ich geh immer noch Ski fahren! Ok, der Weg zum Schnee wird täglich länger und auch die Kratzer in den Skiern werden durch die ganzen kleinen Steinchen, die da frecherweise jetzt im Weg liegen, immer mehr. Aber und hier kommt der wohl entscheidende Punkt, wer kann schon sagen, noch Ende Juni bzw. sogar Anfang Juli nochmal Ski gefahren zu sein (1:0 für mich), in T-shirt den Berg hoch gelaufen zu sein (2:0) – ok, oben wieder Daunenjacke (2:1) - und dabei auf das Meer geschaut zu haben (3-1, Game, Set and Match, Vogel)! Ich glaub mit ganz wenigen Ausnahmen bin ich quasi aber seit Wochen der Einzige, der noch immer auf die Berge mit Skiern läuft. Aber wie gut ist es denn die Feldarbeit immer noch mit Skifahren zu verbinden?!


Sowas nennt Mann wohl eine Win-Win-Situation. Die letzten beiden Juni-Wochen ging es hier mit meiner Arbeit nochmal richtig rund, da quasi jeden Tag was von den Wechten runter kam. Die Frage aller Fragen war, ist und bleibt nur: Warum?! Zwischendurch in der Saison hätte ich ziemlich viel auf einen größeren Wechtenfall gesetzt, da ich den riesigen Rissen oben fast täglich beim Wachsen zugucken konnte. Trotzdem ist während der ganzen Saison zumindest bei mir am Gruvefjellet nichts Größeres als 3 m im Durchmesser runtergekommen. Steht man neben so einem Wechtenstück ist das schon relativ groß, andere Abbrüche am Larsbreen von der Größe eines Autobusses sind da aber nochmal eine ganz andere Kategorie. Vor ein paar Tagen hab ich einen Antrag nach Oslo geschickt, um mein Master um wenige Monate zu verlängern. Wenn das durch geht, kann ich noch die ganze nächste Saison als Vergleich haben und den Meteorologie-Teil ausbauen – ganz zu schweigen von meinem allgemeinen Wechtenverständnis. Langsam beginne ich zu verstehen, warum die meisten Leute um das Thema wohl einen Bogen gemacht haben. Viel wurde zumindest noch nicht geschrieben…



Trotz anfänglicher technischer Schwierigkeiten, habe ich mich mittlerweile mit Flickr.com ganz gut angefreundet und da auch in letzter Zeit einiges hochgeladen, was ich jetzt mal als Entschuldigung ans Tagebuch werte.

Letztes Wochenende konnte ich bei einer Exkursion des IPY-Kurses nach Kapp Linné mitfahren, lässig ein Platz im Boot war noch frei! Die Gegend rund um die alte Radiostation könnte so schön sein, wenn es doch nicht nur immer immer regnen würde. Was die alte Radiostation betrifft, ist leider von dem ‚alt’ nicht mehr viel übrig geblieben. Die arme Station gleicht innen jetzt einer relativ sterilen Lounge irgendwo in einer normalen Stadt. Schuld daran ist wohl irgendein norwegischer Architekt, der sich da wohl ein bisschen verwirklichen wollte. Zum Glück kann man ja über Geschmack streiten, aber wenn ich den ganzen Tag (klar, bei Regen) durch die ‚Wildniss’ gedappt bin, ausseh wie zweimal im Matsch gewälzt, dann will ich mich irgendwo hinsetzen können, Kaffe trinken und net Angst haben, irgendwas von den ach so feinen Designer-Sesseln zu beschmutzen. Was man den Designer-Sesseln aber zugute halten muss ist, dass sie wirklich nicht nur bequem aussehen, sondern es auch sind.



Während der Kurs eine geologische Exkursion am Samstag unternahm, wollte ich mir die allgemeine Lawinensituation am Griegsaksla mal ansehen. Das Sehen wurde aber - wie sollte es auch anders sein - durch die niedrigen Regenwolken quasi verhindert…na ja zumindest hab ich jetzt was von Elisa über Flora&Fauna gelernt, kann mich an der Kompass Rose orientieren (Südhälfte blüht im Frühling, Nordhälfte danach) und könnte unter Umständen auch mit einer kleinen Blume mit viel Vitamin C überleben. Das Problem an der Blume ist wahrscheinlich nur, dass ich sie unter Umständen nicht mehr wieder erkennen würde und falls das nicht zutrifft, ich zumindest diese wegen Spitzbergen-Umweltschutz-Regeln oder so nicht pflücken darf…



Auf dem Rückweg nach Longyearbyen wollten wir noch kurz in Barentsburg halt machen. Auf der gegenüberliegenden Fjordseite tauchte aber plötzliche eine kleine Gruppe Walrösser auf! Geil, was Viecher: Groß wien halber Elefant, im Wasser aber gewand wie ein Fisch. Sie zeigten keine Scheu vor den drei Booten und die Guides hatten auch keine Bedenken, dass die fetten Jungs irgendwie unfreundlich werden könnten. Langsam aber sicher verfluchte ich meine wasserdicht verpackte Kamera in meinem Rucksack, der wiederum in einer riesigen Tüte steckte. Bei der zweiten Gruppe Walrösser wurden aber alle Bedenken über Bord geschmissen und ich kramte die Kamera aus all den Tüten. Ein kleiner Traum so einen riesigen Oschi neben dem Boot spielen zu sehen. Kurz darauf trafen wir auf eine ganze Walross Kolonie von vielleicht 30 Tieren, die sich ziemlich unbeholfen und faul am Strand die Sonne auf ihre fetten Leiber scheinen ließen. Irgendjemand erzählt, dass rund um Spitzbergen eigentlich nur männliche Walrösser sind und die Frauen irgendwo anders die Zeit verbringen. Daraus schließe ich, dass Walrösser vielen Menschen wohl ziemlich ähnlich sind: Währen die Frauen irgendwo durch die Gegend ziehen, chillen die Männer am liebsten mit ihren besten Kumpels zusammen am Strand und lassen sich die Sonne auf die Plauze scheinen…



Schnitt, biegt man in den Fjord ein, ist das erste was man von Barentsbrug sieht die zwei Schornsteine, die unglaublich schwarzen Rauch in die sonst so weiße Gegend ausstoßen. In der kleinen russischen Mienenstadt leben im Moment noch 500 Leute, davon immerhin 150 Frauen und ganze 16 Kinder. Als wohl noch mehr Geld aus der Heimat geflossen ist, waren hier mal 2000 Leute hautsächlich mit dem Kohleabbau beauftragt. Das ist schon ein krasses Gefühl, in eine alte Stadt zu kommen, in der sich seit 30 Jahren quasi nicht viel getan hat. Auch wenn ich noch nicht in Russland war, so ist man doch unweigerlich an Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Obwohl Longyearbyen keine 60 km weg ist, befindet man sich hier in einer ganz anderen Welt, zumindest wirkte es auf mich als Außenstehenden so. Während wir hier in unserem kleinen Nest ein relativ normales Leben führen, sieht es in Barentsburg schon alles ein wenig grauer aus. Lustig war ein bisschen das Gefühl wieder Tourist zu sein: Schön mit der baumelnden Kamera um den Hals und dann in jede Ecke hin fotografieren…

Irgendwie belächeln wir ja die ganzen Touristenströme, wenn sie in einheitlichen roten Jacken von ihren fetten Kreuzfahrtschiffen in Longyearbyen einfallen – dicke Mütze aufm Kopf, Fernglas um den Hals und Stadtplan nervös in den Händen haltend. Sieht man an einem Tag mehr als zwei Jack Wolfskin Jacken, is auch klar woher das Schiff kommt: Die Deutschen sind da! Alles, wirklich alles wo ein Polarbär aufgedruckt ist, wird gekauft, auch wenn es die hässlichste aller Kaffeetassen ist, die man sich vorstellen kann… Läuft man dann an einer dieser meist älteren Touristengruppen vorbei, erhascht man doch den einen oder anderen fragenden Blick und man ist fast gewillt zu antworten „Ja Alte, wo du deinen Kaviar-Luxusurlaub machst, leb ich…“

Zurück zu Barentsburg, denn irgendwie ist es auch faszinierend gewesen zu sehen, dass wirklich im Nirgendwo von Spitzbergen sich zwei Siedlungen entwickelt haben, quasi um die Ecke, die aber trotzdem verschiedener kaum sein könnten.



Die letzten drei, vier Tage wurde Spitzbergen mit einer Hitzewelle bedacht und Temperaturen kratzen fast die 10°C! Was liegt also näher, als Global Warming zu danken und das zu tun, was die meisten Leute im Sommer machen: ab zum Strand! In Longyearbyen gibt es da ganz zufälliger Weise den nördlichsten Segel- und Surfclub der Welt. Gut, man muss sich ein bisschen mehr anziehen als beim Surfen auf den Malediven oder sonst so, aber sonst ists eigentlich dasselbe. Eingepackt in dicke Neoprenanzüge, Haube, Stiefel und Handschuhe lässt sich das recht kühle Wasser recht gut aushalten. Zudem hat man eine Motivation mehr sich anzustrengen und nicht zu oft ins Wasser zu fallen.



Irgendwo in der hinteren Ecke meines Hirns versteckten sich ja noch die alten Surfcamp Erkenntnisse aus Holland und nach ein paar Eingewöhnungs-Wenden, die alle im Wasser endeten, begann die Sache sich doch schon wieder vertrauter anzufühlen. Allein das abendliche Grolsch ließ sich auf die Schnelle nicht hier auftreiben. Die letzten Tage waren wir abends nach einem erfolgreichem Tag bei schönstem Sonnenschein im Office immer noch eine Runde Surfen – wenn man nicht wüsste, dass es woanders ein wenig wärmer wäre, würde man gar nichts vermissen…eigentlich, denn vorgestern scheiterte unser erster Angelversuch in Spitzbergen vom Kajak mit einer derben Nullnummer. In Anbetracht der Tatsache, dass ich aber in einer Woche 10 Tage lang in Nord-Norwegen Papa-Sohn-Urlaub machen werde mit haufenweise Dorsch&Co unter Bug, war das gerade noch zu verschmerzen.

Ich hab noch eine Woche hier oben und denke es muss nochmal alles ausgereizt werden von Skitour zu Surfen – Winter- und Sommervergnügen, alles an einem einen Tag. Um nicht den falschen Eindruck zu erwecken Opa, ich arbeite auch noch was zwischendurch…

P.S.: Mehr Bilder wie bisher bei http://www.flickr.com/photos/39169533@N03/sets/